Navigation

Ostdeutschland 2016

blog-img

unterwegs

Ostdeutschland 2016

Die Sonne geht im Osten auf

Warum also nicht mal dorthin fahren – am besten mit dem VW-California. Also los. Von Zürich via Bayern nach Dresden, durch die Sächsische Schweiz bis nach Görlitz und noch ein ganzen Stückchen weiter bis es wieder heisst: «Grüezi mitenand».

Görlitz – näher an Polen geht nicht

In Görlitz  ist die Grenze zu Polen sehr spürbar – man riecht diese förmlich. (Wer den Film the Grand Hotel Budapest gesehen hat, kann erahnen wie es dort aussieht – Filmdrehort). Die Stadt gilt als grösstes Flächendenkmal Europas, man kann dort noch Häuser aus der Gründerzeit sehen. Görlitz blieb während der Kriege nahezu unversehrt und wurde wieder herausgeputzt.Was uns aufgefallen ist: Die Strassen sind leergefegt… wir haben nachgefragt; alle sind abgehauen – es gibt in Görlitz kaum mehr Arbeit, vieles wurde nach Polen ausgelagert. Sehr extrem! Ebenso wie in Dresden waren die Leute zwar nett, aber zurückhaltend. Und das Sächsische ist auch für Dialekt-gewohnte Helvetier eine echte Herausforderung.

Leipzig oder Hypezig?

Nachdem wir Dresden in der Semper-Oper mit Borgy and Bess von Gershwin Adieu gesagt haben, sind wir bis an den äussersten Rand von Deutschland getourt – immer im Hotel California (VW-Bus) und immer irgendwo wild, mal da, mal dort. Leipzig war danach sozusagen ein erstes Auftanken. Vier Tage stationär. Wir hatten ein tolles Appartement in einem Haus aus der Gründerzeit (Anfang 19. Jahrhundert) mitten in einem schicken Quartier, wenige Gehminuten vom Zentrum entfernt, inkl. Bikes, die uns Leipzig auch rollend erfahren liessen. Leipzig ist wirklich eine Reise wert. Schon am ersten Tag war uns klar, warum diese Stadt auch «Hypezig» genannt wird. Hier hat Kunst, alternatives Leben und Wohnen noch Platz, auch wenn die Gentrifizierung voranschreitet. Im Gegensatz zu Dresden ist diese Stadt viel belebter. Man kann hier noch für wenige Euros den ganzen Tag ÖV nutzen und auch budgetschonend zu zweit Essen gehen. Gestern entdeckten wir ein absolutes Szenekino. (Preview Captain Fantastic, sehenswert!). So stellt man sich improvisierte Kultur vor.

Überhaupt hat es viel Platz in der Stadt, grosszügige Grünanlagen, breite Strassen, viel Wasser. Die Innenstadt ist sehr gepflegt, die Häuser saniert. Da und dort merkt man noch DDR-Charme, sei es in der Architektur,  beim ÖV oder im öffentlichen Raum. Was auffällt: Viel weniger Werbung, weniger Licht am Abend, weniger Styling im Allgemeinen und im Speziellen – die Menschen sind meist sehr normal unterwegs.

Ein Highlight war für uns der Besuch in der Deutschen Nationalbibliothek; dort werden seit 1913 alle Bücher aus dem deutschsprachigen Raum gesammelt –  zum Glück konnten alle Bücher vor der Zerstörung der beiden Weltkriege geschützt werden. Natürlich wollten wir wissen, ob unser Buch Stadtcafés Zürich auch ausleihbar ist (aktuell sind fast 28 Millionen Bücher eingelagert und es wird immer weiter angebaut). Eine nette Empfangsdame hat uns gleich herumgeführt und wir konnten auch unser Buch finden – Yes! Allerdings nicht physisch, dazu braucht es 24 Stunden). Überhaupt gibt es viele Gespräche mit den Menschen, die hier offen sind, wenn man auf sie zugeht. Den Leipziger Charme muss man allerdings erst etwas entdecken. Und um die coolen Lokale zu finden, haben wir den Stadtschwärmer gekauft – quasi das Stadtcafé-Buch von Leipzig. Natürlich haben wir auch Cafés ausprobiert: Mein liebes Frölein und heute noch das Cantona (benannt nach dem französischen Fussballer, aber das ist eine andere Geschichte). Morgen geht’s weiter Richtung Berlin, davor noch eine Nacht am Krossin See (vor Berlin) und dann gibts eine Pause bei Freunden.

Radeln am Wasser

Radio Eriwan ist wieder auf Sendung. Wie heisst der klassische Ostdeutsche Dreisprung? richtig: Dresden, Leipzig, Berlin. Mehr Leben, mehr Menschen, mehr Stadt. Berlin ist einmal mehr unglaublich. Gross, dynamisch, lebendig, tolerant, offen und überraschend. Diesmal hat es uns mehrheitlich ans Wasser gezogen. Wir sind mit dem Bike der Spree entlang gefahren bis zum Treptower-Park. Dort wollten wir einen ehemaligen Vergnügungspark aus DDR-Zeiten besuchen. Leider war das ganze Gelände abgesperrt, alle Gebäude verfallen, Einsturzgefahr. Die Sache machte einen gespenstischen Eindruck, das grosse Riesenrad hat sich selbständig im Wind gedreht… alles von der Natur zurückerobert und überwuchert.

Wir haben dann auf der Insel der Jugend gevespert, einen feinen Kaffee getrunken und die Zeit vergehen lassen… wunderbar! Gestern gings ins BIKINI-Viertel (Hotel, Einkaufsstrasse, schön gemacht, viele Hypster an Bord) und danach ins Viertel, wo Freitag seinen Store hat (Die Freunde wissen ja meist, wo es cool ist). Schicke Läden, Labels im ganzen Quartier, aber nu luege, gäll… Das wars dann auch schon in Berlin. Heute geht’s weiter nach Dessau, und final Destination ist Weimar. Thema: Bauhaus, Schiller, Goethe. Wir sind gespannt. Vielleicht nehmen wir aber auch den Sonderzug nach Pankow? (Udo Lindenberg).

Schiller, Goehte und Tante Ju

Auf dem Weg Richtung Weimar haben wir festgestellt, dass Dessau auf der Route liegt. Dessau? Kennt keine S.. – ist aber das Mekka aller Bauhaus-Begeisterten und Menschen, die irgendwas mit Architektur zu tun haben. Bauhaus ist so ein Zauberwort für  jene, die auf schöne Formen und tolles Design stehen. Einfach mal googlen. Max (Bill) war auch da und hat an der Bauhaus-Schule gelehrt. Dort hat er seinen berühmten Holzhocker entworfen, damit sich die Studis irgendwo hinsetzen konnten. Der Hocker ist so konzipiert, dass man seine Bücher mitschleppen kann.

Also auf nach Dessau – einer Industriestadt, die übrigens auch die Junkers-Werke beherbergt hat (Flugzeug, Tante Ju, Dübendorf). Wir sind bei strömendem Regen eingefahren, wollten eigentlich das Museum besuchen und waren erstaunt, dass es dieses so nicht gibt. Das Haus an sich ist das Museum! Es hat nach dem Umzug von Weimar als visionärer Neubau Ende der 20er-Jahre Akzente gesetzt, die weit in unsere Zeit hineinreichen. Umwerfend! Und dazu quasi als Zugabe: Die Meisterhäuser von Walter Gropius. Diese würden jeder modernen Villa in Küsnacht locker die Show stehlen. Klar, konnten wir die Kameras nicht in der Tasche lassen.

Weiter nach Weimar, wo ein Thema omnipräsent ist: GOETHE. Der wohl grösste Dichter hat dort über 50 Jahre gewohnt, wir konnten die Magie von Mephisto, Werther und wie sie alle heissen beim Besuch seiner Loge förmlich spüren. Überhaupt: Weimar ist sehr schmuck und nach der Wende wieder eine richtig tolle Kulturstadt geworden. Da hat sich ein Theaterbesuch förmlich aufgedrängt. Mit einer Thüringer Rostbratwurst gestärkt haben wir viel über die Beziehung von Johann Wolfgang und seiner 15 Jahre jüngeren Frau Christiane erfahren und gestaunt, dass dieser grosse Dichter zwar grosszügig, aber ein ziemlicher Büffel war. Nie zu Hause, immer irgendwo (meinst in Jena bei seinem Spezi Schiller). Als Christiane dann mit 45 nach schwerer Krankheit verstarb, hat er sich während ihrer letzten Tagen einfach ins Bett gelegt und abgewartet. Zum Begräbnis ging er nicht. Pfui! Kein Vergnügen.

Dafür haben wir uns in Leipzig noch das Buch Landvergnügen gekauft, ein Reiseführer für Wohnmobile, welche Standplätze bei Bauern, Bäckereien, Weingärten etc. auflistet, gratis notabene. Haben wir natürlich grad auf der Heimreise ausprobiert und sind bei der Kellerei „Felsengärten“ in Hessigheim am Nekar gelandet. Alles drehte sich hier um Goethe, äh Wein. Traumhafte Landschaft, kleine Wanderung zu den Felsgärten inklusive. Wein haben wir auch probiert, hicks…

Now, the Cali has landed… Nach rund 2700 Kilometern durch die Weiten Ostdeutschlands, 2365 Photos mit vier Kameras, die nun auf die wirklich guten Bilder eingedampft werden, vielen Begegnungen und tollen Erlebnissen sind wir wieder in Zürich gelandet. Dass dabei 900’000 Menschen zu lauter Musik getanzt haben, war eher zufällig…

Chris unterwegs

Archive